Diese Reiseepisode erzählt unter anderem davon, wie wir bereits in Bayern an einer zu hohen Sprachbarriere scheiterten, gleich zu Beginn unsere Routenplanungen fast wieder über Bord warfen und am Ende doch noch der Finsternis entkamen.
21.1.-25.1. Von Bad Gandersheim nach München
Strecke: 46km (Augsburg – Mammendorf)
Min. Höhe: 483m, Max. Höhe: 572m
Höhenmeter: 261m
„Griassts eich!“ Wir zucken zusammen und drehen uns schlagartig um. Vor uns steht ein rüstiger, trachtenbewehrter Rentner mit ausgeprägtem bayrischem Zungenschlag. Es ist der erste Mensch, dem wir seit Stunden begegnen. Der Mann stellt weitere Fragen und richtet diese an meine chinesische Gattin: „Wia koann i eich heifd?“ „Wie bitte?“, entgegnet diese „Wo foartsn hi?“ „Ich verstehe Sie nicht.“ Ich ergreife die Initiative und übernehme die Gesprächsführung. „Nach München“. „No, i wui wissen, wo foartsn spada hi?“ Meine Antwort scheint ihn nicht zufriedenzustellen. Er scheint zu ahnen, dass wir noch weiter wollen als München. Mittlerweile sind wir vier Tage unterwegs und haben uns an die „Wow-das-ist-ja-viel-Gepäck-wo-gehts-denn-hin?“ – Gesprächseinleitungen gewöhnt. Es ist später Nachmittag und die Dämmerung legt sich bereits auf das in Grau erstarrte Voralpenland. So freundlich der Mann auch ist: wir müssen weiter. In einer Stunde wird es dunkel und München ist noch 30km entfernt.
Was ist in den vergangenen Tagen passiert und wir sind wir hierhergekommen?
Nun, wir haben es mit den Fahrrädern von Bad Gandersheim bis Göttingen geschafft, und diese dann nach einigen Anläufen in den Zug verladen. Unser Plan: Verwandte und Freunde in Stuttgart besuchen und dann uns bis München mit dem Fahrrad durchschlagen. Die Abreise hatte sich um ein paar Tage verzögert, weil es mit der Visaerteilung nicht so fix ging wie erwartet. Zudem liest sich der Wetterbericht für die nächsten Tage nicht wirklich vielversprechend. Der eigentliche Grund für unsere Abkürzung mit dem Zug ist aber das beschränkte Zeitbudget von 10 Monaten, sodass wir uns eher auf exotische Regionen denn auf Deutschland konzentrieren wollen.
Wir hatten uns das mal so zusammengedacht: Ticket reservieren, Bonuspunkte eintauschen, dann den Fahrradzuschlag oben drauf – fertig. Doch wir haben die Rechnung ohne ein monopolistisch agierendes deutsches Transportunternehmen gemacht. Der erste Zug fährt nicht und die Fahrradreservierungen der restlichen Schnellzüge sind für heute ausgebucht. Ende Januar fährt Deutschland halt Rad, lässt uns die Bahnbeamte wissen – oder transportiert diese in Schnellzügen quer durch Deutschland, füge ich in Gedanken hinzu und greife instinktiv zu meiner Luftpumpe. Ein probates Instrument zur Selbstverteidigung, falls ich mich später gegen die Myriaden von Fahrradtouristen zur Wehr setzen muss, die wie ein Hornissenschwarm den verschneiten Göttinger Hauptbahnhof befallen.
Die ganze Diskussion bringt nix, wir müssen mit Regionalzügen vorlieb nehmen und einen Umweg über einen Erfurter Vorort wählen. Zieht man mit dem Lineal eine Linie von Göttingen nach Stuttgart, führt diese zwar nicht gerade durch Thüringen, aber was wissen wir denn schon. Im Neudietendorf verpassen wir den Anschlusszug und haben die Gelegenheit, zwei Stunden lang ein verlassenes thüringisches Dorf zu erkunden.Der Umweg nach Ostdeutschland legt immerhin den Schluss nahe, dass die nördliche Route über Russland vielleicht die geeignetere Strecke wäre. Erstmal nach Moskau, dann immer weiter und am Baikalsee links abbiegen. Doch wir halten an unseren ursprünglichen Plänen fest. Um 23:00 erreichen wir Winnenden bei Stuttgart.
Wir verbringen einen angenehmen Tag in Winnenden und haben die Möglichkeit, uns von den Reisestrapazen zu erholen. 90km Radweg, 7 Stunden Fear and Loathing mit der Deutschen Bahn quer durch die Republik. Am Donnerstag geht es ein letztes Mal mit der Bahn nach Augsburg. Von nun an möchten wir uns nur in Ausnahmefällen auf ÖPNV zurückgreifen. Im Augsburger Vorort Friedberg kreuzen wir die Romantische Straße. Meine Tante hat uns als Abschiedsgeschenk eine Schachtel Pralinen auf den Weg gegeben. Wir wissen uns nicht zu helfen und stopfen diese zur Hälfte im Schneetreiben am Straßenrand in uns hinein (sorry, Angelika und Ekki!), während ein SUV-Fahrer uns ungeduldig aus dem Weg hupt. Die Schachtel ist in wenigen Minuten halbleer und wirklich romantisch ist das alles nicht.
Über das sanft gewellte Alpenvorland hat sich ein weißer Schleier gelegt. Das Land liegt wie verlassen vor uns. Fast lautlos gleiten wir an Felder und Almen vorbei, selten trägt der Wind das heisere Röhren eines Traktors zu uns rüber.
Meine Gedanken kreisen über den weiteren Routenverlauf, zerschellen aber bereits an der Alpennordseite. Österreich, meinetwegen auch noch Italien, die nächsten Reiseetappen kann meine Vorstellungskraft noch meistern, danach fällt es schwer. Das Fahrradfahren aber macht Spaß und läuft viel besser als auf der ersten Etappe durch das niedersächsische Weserbergland.
Unsere Sorge gilt eher der herannahenden Dunkelheit. Wir möchten noch bei Tageslicht München erreichen.
Rohrbach, Tegernbach, Oberschweinbach.
Nur langsam rückt die bayrische Landeshauptstadt näher, und bald befinden wir uns mit unseren schwer beladenen Rädern in völliger Dunkelheit. Eine Kombination aus GPS, Smartphone App, Ortskundigen sowie eine gewisse Portion Glück bringen uns schließlich zum Vorort Mammendorf, wo wir nach zwei Stunden unsere Prinzipien wieder über Bord werfen und die S-Bahn ins nahe München besteigen. Hier möchten wir Freunde besuchen und unsere Fahrräder noch ein letztes Mal durchchecken, bevor es dann keine Ausreden mehr geben wird. Richtung Alpen, Richtung Süden.
Timo Biedermann (Sonntag, 25 Januar 2015 23:17)
Viele Grüße aus Hildesheim wünschen euch Timo, Julia, Balu und Koda.
Viel Erfolg noch auf eurem unglaublichen Erlebnis.
Genießt die Zeit,
Eure Ex Untermieter :-)