Die große, weite Welt

23. Januar von Hildesheim nach Bad Gandersheim

Strecke: 51km

Min Höhe: 80m, Max. Höhe: 251m

Höhenmeter: 445m

 

Unsere erste Reiseepisode kündet bereits von wahren Heldentaten: wie wir es schafften, uns aus unserer gewohnten Umgebung zu verabschieden, gleich zu Beginn senkrechte Steigungen meistern, erfolgreich eine verbotene Stadt belagerten, und danach eine fast 100% Effizienzsteigerung erreichten.

 

Und dann ist es schließlich soweit. Wir stehen im Hof unserer Wohnung in der Hildesheimer Oststadt. Die emsigen Planungen, die Terminhatz, die Rückschläge und Meilensteine der letzten Wochen und Monate – alles scheint nun in diesem finalen Moment zu kulminieren. Es ist der 20. Januar 2015, der Tag unserer Abreise. Ein paar Freunde und Arbeitskollegen haben sich eingefunden uns um uns mit warmen Worten den Moment der Trennung zu erleichtern. Es ist ein ungemütlicher Januarmorgen, die Abschiedsfotos entstehen hastig im Schneeregen. Dann geht es los. Erstmal nach links in die Goethestrasse.

Die ersten Meter vertreiben wir uns mit eben jenen Scherzen, die in solch seltenen Situationen üblich sind: „Hast du noch Lust? Ich nicht!“, „Kannst du noch? Ich brauche eine Pause.“.

Während wir die Hildesheimer Vororte passieren verlagern sich die Themen auf ernstere Fragestellungen. Er: „Hast du mein USB Kabel in deine Tasche getan?“  Sie: „Nein, das ist bei dir“. Er: „Ich habe genau gesehen, dass du es heute Morgen in der Hand hattest“ Sie: „Danach habe ich es dir gegeben. Außerdem auch den Kulturbeutel. Der ist bei dir“. Er: „Nein, bei dir“. Sie: „Sicherlich nicht“. Er: „Billige Retourkutsche. Außerdem geht es jetzt um mein USB Kabel“. Sie: „Wird schon irgendwo sein. Und der Kulturbeutel?“. Er: „Lenk nicht ab. U-S-B KABEL! OK???“

Mit dem Leben aus der Tasche werden wir uns nun 9 Monate arrangieren müssen. Unsere gesamte Ausrüstung verteilt sich auf jeweils 4 Taschen pro Person, die paarweise an Vorder- und Hinterrad befestigt sind. In den letzten Tagen haben wir in mühevoller Kleinarbeit ein ausgeklügeltes Packsystem entwickelt, dass sich nun an internationalen Outdoorstandards messen lassen muss. Exemplarisch möchten wir dem geneigten Leser einen kurzen Blick in die vordere Tasche rechts gewähren: unten Badehose und Shorts – diese Kleidungsstücke können angesichts des Schmuddelwetters zunächst außen vor bleiben, darüber die konventionelle Kleidung, die man abends nach erledigter Arbeit anlegt, dann folgen die Outdoorklamotten für den täglichen Bedarf und ganz oben befinden sich Handschuhe und Regenjacke auf Abruf – falls es während der Fahrt noch ungemütlicher wird. Raffiniert. Insgesamt schleppen wir etwa 22kg bis 25kg mit, ich, nicht überraschend, etwas mehr.

Groß Düngen, Bad Salzdethfurt, Bodenburg. Bekannte Namen, vertraute Umgebung, wir waren hier bereits mit den Fahrrädern unterwegs. Am Ende dieser Velotrips stand aber stets die Rückkehr in unsere Hildesheimer Wohnung. Heute gibt es kein Zurück mehr, bald werden wir die Ortsnamen nur vom Hörensagen kennen und noch später auf unserem GPS Gerät suchen müssen. Ein seltsames, und doch faszinierendes Gefühl.

Es geht durch das sanfte Auf und Ab des Weserberglandes. Insgesamt scheint die Strecke selbst für unsere untrainierten Schenkel machbar, lässt man einige fast senkrechte Steigungen außer Acht, die weniger auf die Topgraphie des Geländes als auf mein Unvermögen, eine adäquate GPS Routenplanung  zu erstellen, zurückzuführen sind. So gestaltet sich auch das Erreichen von Lamspringe als äußerst schwierig, da ich im Eifer des Gefechts einen Teil unserer Route lässig über die Bahngleise gelegt habe. Das 3000-Seelen Nest im südlichen Niedersachsen gleicht somit eher einer verbotenen Stadt. Die ersten drei Versuche, den Ortskern zu erreichen, scheitern kläglich und enden an Ersatzteillagern und Biogasanlagen. Wir fühlen uns wie Belagerer und doch einigermaßen ratlos, bis wir nach einem Umweg schließlich die Brücke finden, die in die Hauptstraße mündet. Im Ort selbst sind Dönerladen und Asia Imbiss geschlossen, doch wie für ein niedersächsisches Dorf üblich, bietet die die Dorfbäckerei genügend Gelegenheit, unsere mittlerweile doch recht leeren Mägen zu füllen.

Nach einer kurzen Pause endet die erste Episode unserer Seidenstraßensaga im niedersächsischen Bad Gandersheim. Beruhend auf unseren bisherigen Erfahrungen erfolgt auf dem letzten Streckenabschnitt eine Rückbesinnung auf die althergebrachte Fahrradkarte, und tatsächlich schaffen wir es nun unsere Durchschnittsgeschwindigkeit fast zu verdoppeln. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir den Bestimmungsort und beziehen unser erstes Domizil in einer etwas improvisiert wirkenden Unterkunft. Trotzdem reicht allein die Existenz von Zentralheizung und fließend heißen Wasser aus, uns in pure Ektase zu versetzen. Das Nachtleben einer Kurstadt bleibt naturgemäß überschaubar, und doch gelingt es uns nach einigen Suchen ein gutes italienisches Restaurant zu finden. Nach Feiern ist uns heute ohnehin nicht zumute, schließlich ist es unser erster Abend und wir haben in den nächsten noch einiges vor. Rasch schlafen wir ein, in freudiger Erwartung, was die nächsten Tage uns  bringen werden.

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Kommentare: 1
  • #1

    Heinz-Ulrich Reith (Montag, 02 Februar 2015 17:29)

    Hallo Ihr Weltradfahrer !
    Habe aus der Hildesheimer Zeitung von Eurer Reise erfahren und werde Euch am
    Computer begleiten.
    Wünsche immer gutes Wetter und keine Pannen, denn die können einen eine
    Radtour ganz schön vermiesen.
    Viel Glück und freundliche Grüße

    H.-U. Reith