Hungersnot, Magenverstimmung, Ekstase

Trotz anfänglicher Verwirrung sind wir gleich zu Beginn dieser Reiseetappe Zeuge eines wahren Glückmoments, müssen aber wenig später auch akzeptieren, dass nicht jeder Weg in den Pamir führt. Daher geht es erst mit etwas Verspätung auf das Dach der Welt im Osten Tadschikistans. Der Weg dorthin ist gekennzeichnet vom drohenden Hungertod, Differenzen mit dem tadschikischen Staatsoberhaupt und wegstürzenden Straßen. Zumindest die Nahrungsmittelknappheit können wir mit ausgeklügelten kulianrischen Baukastensstemen erfolgreich bekämpfen und haben somit die Gelegenheit, die landschaftlichen Höhepunkte in vollen Zügen zu genießen und einen Blick nach Afghanistan zu werfen.

Eine barsche Männerstimme reißt mich aus einem viel zu kurzem Schlaf. Ich möchte mich empört aufrichten, verspüre aber lediglich einen dumpfen Widerstand. Noch bleibt mir unsere erste tadschikische Nacht im Nebel der Erschöpfung und Dunkelheit verborgen. Zorn ist jetzt ein schlechter Ratgeber.  Mir dünkt, ich müsste mich erstmal umsehen, die Lage sondieren und auf diesen Erkenntnissen beruhend anschließend zum Gegenangriff übergehen.  In der Tat erweist sich dieses besonnene Vorgehen im Nachhinein als richtig.

Ja, ich befinde mich in einem Park in der tadschikischen Hauptstadt Dushanbe. Es ist hell. Um meinen linken Arm ist eine Fahrradkette gewickelt, die ca. 50cm entfernt an meinem Fahrrad endet und mich am Aufstehen hindert. Eine Lenkertasche mit den Wertsachen dient als provisorischen Kopfkissen. In einer Mischung aus Erleichterung, Belustigung und Müdigkeit bemerke ich, dass Minxin eine verblüffend ähnliche Lösung gewählt hat, um ihr Hab und Gut zu sichern. Ein Mann mit Hut beugt sich über uns und mustert uns misstrauisch, Was ist passiert?

Wir haben Usbekistan fluchtartig verlassen, um den Konsul der kirgisischen Botschaft in Dushanbe dazu zu bewegen, Minxins Visum in möglichst kurzer Zeit auszustellen. Zumindest in einer kürzeren Zeitspanne als die zwei Wochen, die uns per Mail angedroht wurden.

Vorsorglich haben wir für den Ernstfall bereits ein 14tägiges Sightseeingprogramm für Duschanbe ausgearbeitet, das folgende Punkte umfasst:

 

1. Tag: Besuch des Nationalmuseums. Später durch den Komsomol Park zum weltweit größten Teehaus des Landes laufen. Dort Besuch einer lokalen Folkloreveranstaltung

2. Tag: Erneuter Besuch des Komsomol Parks. Flaggenmast sowie Rudaki-Statue fotografieren. Anschließend Souvenirkauf auf dem Großen Basar von Duschanbe. Dort lassen sich auch günstig Postkarten erwerben.

3. Tag: Ausflug in den Komsomol Park. Postkarten für Freunde und Verwandte schreiben.

4. Tag: Verzweifelte Schnitzeljagd nach Briefmarken in der Innenstadt Duschanbes mit Happ Endy in den späten Abendstunden.

5. Tag: höchste Zeit, mal wieder alte und längst vergessene Kontakte aufzufrischen. Erwerb weiterer Postkarten und Briefmarken, anschließend Picknick im Komsomol Park und Schreiben der Postkarten

6. Tag: ein guter Tag, Reisefotos zu sortieren und den eigenen Internetblog upzudaten (auch wenn man selber keinen hat: man kann sich ja in Windeseile einen einrichten lassen!)

7. – 8.Tag: siehe Tag 6.

9. – 11. Tag: zur freien Verfügung

12 - 14. Tag: siehe Tag 10.

 

Der Abschied aus Usbekistan geriet versöhnlich. Die letzten Fahrradetappen führten durch abwechslungsreicheres Terrain. Wir sammelten in Sharisabz noch artig (wie für Minxins Visum verlangt) einen Registrierungsschein ein, indem wir in einem Hotel übernachteten und machten dort die ersten und einzigen Erfahrungen mit usbekischen Privatfernsehen. Als besonders angesagt erwies sich eine Reality-Show, die den Werdegang eines Patienten live im Studio dokumentierte. Der Verabreichung von Medizin am Krankenbett, das Erstellen einer Diagnose, die Weitergabe der Hiobsbotschaft an die besorgten Familienmitglieder, am Ende die erlösende und unerwartete Wunderheilung – alles live im Studio in nur 45 Minuten, unterbrochen von Werbepausen für Zigarettenmarken und Alkohol.

Mit einem Daewoo Nexia, die Fahrräder auf einem Dachgepäckträger befestigt, ging es dann zur tadschikischen Grenze. Wie vieles in Usbekistan geriet auch die Ausreise schwierig. Ich durfte die Zolldeklarierung gleich drei Mal ausfüllen, da sich meine Unterschrift für den Beamten als wohl zu individuell erwies, wohingegen Minxin alle ihre Taschen leeren durfte. Den Registrierungsscheinen schenkte man dagegen keine Beachtung.

Insgesamt  lässt sich unser zweiwöchiger Aufenthalt in diesem Land in zwei Sätzen zusammenfassen. Auf der einen Seite stolze islamische Architektur und nettes „socialising“ mit anderen Bikern in den Guesthouses.  Auf der anderen Seite enervierend heiße und eintönige Fahrradetappen, aufgelockert durch lustige Hotelsuchspiele in den frühen bis späten Abendstunden. Es war kein Honiglecken in Islam Karimovs Reich (ja, auch Usbekistan hat seinen Präsidenten), doch es gab selbst unterwegs auf der Straße auch überraschende, lichte Momente: das beste Eis seit Italien und – so unglaublich es klingen mag – die rücksichtsvollsten Autofahrer seit Kroatien. Tatsächlich respektiert der gemein usbekische Autofahrer Ampeln und hält sogar an Zebrastreifen, was bereits in der Türkei keine Selbstverständlichkeit mehr war.

Die Zollbeamten auf tadschikischer Seite waren hingegen eingepennt und ersparten uns das lästige Scannen des Gepäcks. Fast mit schlechten Gewissen schoben wir unsere Fahrräder an dem schnarchenden Offizier vorbei und machten uns auf makellosen Asphalt in die 60km entfernte Hauptstadt Dushanbe. Diese erreichen wir in den frühen Morgenstunden. Das erste Hotel, ein notdürftig renovierte Sowjetunterkunft im pseudofuturistischen Kosmonautendesign der 70er Jahre erwies sich als maßlos überteuert, sodass wir beschossen, die Nacht in der benachbarten Parkanlage zu verbringen und hier endet gleichzeitig der Rückblick  auf unsere letzten Tage in Usbekistan. Apropos, Ende: die Nacht im Park endet glimpflich mit einer mündlichen Verwarnung, die wir nicht verstehen. Leicht übernächtigt trotten wir in ein Fastfood Restaurants eine nahegelegenen Shoppingcenters, um unser Outfit, soweit wie möglich auf den zu erwartenden Standard für eine Audienz bei einem Konsul zu heben und legen die letzten 500 Meter zur Botschaft in banger Hoffnung mit dem Fahrrad zurück.

Wir finden die kirgisische Auslandsrepräsentanz als verwaist vor. Dem einzigen Menschen, dem wir innerhalb der Botschaft begegnen ist der Konsul selber. Er scheint in Arbeit vertieft, schließlich blickt er auf und bittet uns Platz u nehmen. Die erste Hürde ist also schon mal genommen.

„Hallo“

„Hallo. Was möchten Sie?“

„Ein Visum beantragen.“

„Das können Sie jetzt oder in vier Tagen tun.“

„Um die ohnehin lange Wartezeit zu verkürzen, lieber jetzt.“

„Das kostet aber dann das Doppelte.“

„Egal….“

Der Konsul reicht Minxin ein Formular, nimmt zwei Passfotos entgegen und blättert in einer Datei.

„Heben Sie eine offizielle Einladung?“

„Ja, ausgedruckt, in meiner Tasche, Muss ich suchen“

„Mir reicht auch ein Anhang in einer Mail.“

„Ernsthaft?“ Ich reiche ihm mein Smartphone und zeige die entsprechende Mail. Der Konsul nickt, nimmt Minxins Reisepass, klebt ein Dokument hinein und stempelt es ab.

„Bitte sehr.“

„Danke. Für was?“

„Ihr Visum“

„…, das wir in zwei Wochen abholen können?“

„Wer sagt denn das. Es ist bereit fertig.“

Tatsächlich, das Dokument im Reisepass verweist auf ein 30tägiges Touristenvisums mit demselben Zeitraum wie im offiziellen Einladungsschreiben angegeben. Von wegen zwei Wochen Wartezeit! Die 10minütige Bearbeitungszeit des kirgisischen Visums dürfte als die kürzeste in die Geschichte eingehen. Lediglich unser etwas übernächtigter Zustand hält uns davon ab, einen fulminanten Freudenschrei auszustoßen, als wir die Botschaft nach einer guten halben Stunde wieder mit Visum und Stempel im Pass wieder verlassen. Der Visastress ist für den Rest unserer Reise kein Thema mehr.

Couchsurfing bei Vero im Garten

Die ersten beiden Nächte unseres Duschanbe Aufenthalts verbringen wir bei Vero, einer französischen UN-Mitarbeiterin, die auch gerne mal mit dem Rad im Pamir unterwegs ist. Vero bewohnt ein stattliches Anwesen, das auch über einen Garten verfügt, in dem bereits mehrere Zelte stehen. Dusche, Bad  und Küche stehen uns zur freien Verfügung, das Personal schützt Fahrräder, Hab und Gut vorn neugierigen Eindringlingen. Die ideale Unterkunft für Radreisende.

Rasch entwickeln sich die übrigen Gespräche. Wir treffen auf Patrick, einem deutschen Extremradler, der sich zum Ziel gesetzt hat, jedes einzelne Land der Erde zu bereisen. Nordkorea und Somalia sind immerhin schon mal abgehakt, doch nun könnten sich ausgerechnet Saudi Arabien und Jemen als besonders harte Nuss erweisen. Zu allem Unglück besaßen auch die Südsudanesen die Dreistigkeit, in einem jüngst abgehaltenen Referendum sich vom übrigen Sudan abzuspalten, was Patrick dazu zwingt, eine erneute Sudanreise zu tätigen. Bleibt nur zu hoffen, dass wenigstens die Schotten, Bretonen oder Basken zukünftig die Füße still halten. Weiterhin lernen wir neue Gesichter kennen, so z.B. Phil und Mary aus den Staaten oder Eric und Charlotte aus Frankreich und treffen altbekannte Radler aus Samarkand wieder.

der Grüne Basar von Duschanbe

Wir nutzen den Aufenthalt in Duschanbe, um für Minxin einen neuen Sattel zu besorgen. Dieser hatte bekanntlich bereits in Aserbaidschan seinen Geist aufgegeben und zeigt nach einer eher provisorischen Reparatur wieder Verschleißerscheinungen. Versuche, die durchbrochene Halterung mit kleinen Eisenrohren zu schienen, schlagen fehl. Erste Anlaufstelle für Fahrradersatzteile ist der Große Basar von Duschanbe, doch unsere Hoffnungen erhalten rasch einen Dämpfer. Ein junger Herr nimmt uns an die Hand. Vorbei an Warenständen unterschiedlichster Art geht es über mehrere Ecken und Kurven in den hintersten Winkel des Marktes, wo wir einige lässig ausgebreitete Fahrradersatzteile, darunter Sättel billigster Machart (Made in Thailand) finden. Wir stehen eher so auf einfachen, aber robusten, billigen Russensätteln.

Am neueröffneten Basar am südlichen Ende der Stadt ergibt sich ein ähnliches Bild. Ersatzteile sind hier gar nicht aufzutreiben, am besten man kauft gleich das gesamte Fahrrad, das nicht allzu teuer sein dürfte und schlachtet es als Ersatzteillager aus. Wir wollen bereits enttäuscht den Ort verlassen als der Verkäufer auf ein halbwegs wertiges Fahrrad mit einem ebenso vernünftig aussehenden Sattel verweist. Zweifelsfrei ist dies der beste Sattel Tadschikistans! Und somit auch der beste im Umkreis von mehreren Hundert km! Wir stehen direkt davor, doch unsere Euphorie ist ob der  ehrgeizigen Preisgestaltung des Verkäufers schnell dahin. 50 Euro möchte dieser dafür sehen. Somit scheint sich der Gesamtpreis des Fahrrads auf die Komponenten 1. Sattel und 2. „Sonstiges“ zu verteilen. Wir lehnen ab. Nachdem auch die Suche in einem winzigen Motorrad-Fahrrad-Hybridladen erfolglos bleibt, beschließen wir den Weg nach „Hause“ anzutreten. Dort kann uns Vero immerhin mit einem provisorischen Ersatz aushelfen.

Radlerkollegen mit demselben Ziel: der Pamir Highway

 Auch Vero möchte mal verreisen und so sind wir gezwungen, am dritten Morgen das Quartier zu wechseln. Nach zahlreichen Abschiedsfotos geht es über eine Internetetappe bei „Southern Fried Chicken“ ins neueröffnete Green House Hostel. Die Tadschiken staunen nicht schlecht über die 13 Fernradler die mit ihren schwerbepackten Taschen die Rudaki Avenue in Beschlag nehmen. Wobei dieser Anblick gleichzeitig auch eine Illusion zerstört. Zuhause in Deutschland wurden wir vor unserer Abfahrt als Volkshelden und Pioniere gefeiert. Mit dem Fahrrad nach China – durch hitzeflirrende Wüsten und eisumtoste Hochebenen – „das hat bestimmt noch niemand geschafft“, lautete der allgemeine Tenor zu unserem Vorhaben. Tatsächlich befinden sich jährlich in den Sommermonaten einige Hundert Radreisende auf diesem Radfernweg, und selbst im ansonsten menschenleeren Pamir ist man nicht allein. Hier, fern von zuhause, ist das Radfahren und die alltägliche Suche nach Unterkünften bzw. Zeltplätzen etwas völlig Selbstverständliches geworden - Alltag halt.

Abhängen im Greenhouse Hostel zu Duschanbe: lecker Dumpling Essen powered by Minxin, Reiseplanungen im "Dorm", Biker Workshop im Hof ( v. l. n. r.)

Wir möchten zwei ruhige Nächte im Hostel verbringen und dann Richtung Gebirge aufbrechen. Wieder werden es schöne Tage im Green House. Minxin bekocht die mittlerweile auf 17 Personen angewachsene Radfahrertruppe, und am Abend verwandelt sich der Innenhof des Hostels in einen echten Biker-Workshop. Räder werden für die anstehende Pamirüberquerung flottgemacht, Campingkocher ausgiebig getestet.

Und dann passiert es. Die Nachricht liest sich harmlos und kommt über Viber: der Pamir Highway ist gesperrt – kein Durchkommen wegen eines gigantischen Erdrutsches hinter Khorog, der Hauptstadt des Pamir. Die Wetterkapriolen der vergangenen Wochen - eine außergewöhnlichen lange Hitzewelle (die wir in Turkmenistan und Usbekistan ertragen mussten) gefolgt von starken Regenfälle im eigentlich trockenen Pamir – zollen nun ihren Tribut. Die Stimmung ist natürlich bedrückt, aber gefasst. Zusammen in einer Gruppe lassen sich solche Hiobsbotschaften besser verarbeiten. So machen wir das erste Mal die Erfahrung, dass man gleichzeitig traurig und glücklich sein kann.

Doch insgesamt lässt sich das Gefühl nicht wegdiskutieren, dass uns seit Teheran gerade in Bezug auf Wetter das Glück völlig verlassen hat. Nicht nur deshalb kategorisieren seit Usbekistan die meisten Fernradler, die wir treffen, ihre Erlebnisse in „Fun Type 1“ und „Fun Type 2“. Hierbei handelt es sich um einen „Running Gag“, der sich viral in Zentralasien ausgebreitet hat. Unter Fun Type 1 versteht man landläufig „klassischen Spaß“ der alten Schule wie angenehme Zeltplätze, entspanntes Radeln bei Rückenwind und unkomplizierte Visaprozeduren. „Type 2“ hingegen vereint eher gewöhnungsbedürftige Erscheinungen wie beispielsweise tagelanges Radeln durch die menschenleere kasachische Steppe bei 45 Grad, Gegenwind und ohne Versorgungsmöglichkeiten. Phänomene, die in Nachhinein Stoff für lustige Anekdoten bieten, im Moment des Erlebens allerdings blankes Grausen hervorrufen. Das Abriegeln des eigentlichen Höhepunktes unserer Reise, dem Pamir Highway, kann man bedenkenlos „Type 2“ zuordnen.

Am nächsten Tag folgen noch zwei weitere Erdrutsche, diesmal kommen dabei sechs Menschen ums Leben. Wir sind nur Urlauber und können das Land verlassen, wenn wir wollen, doch es besteht zu befürchten, dass dies die einfache Landbevölkerung Tadschikistans nicht kann und den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert ist.

Duschanbe: neureiche Architektur, grüne Alleen und sowjetisches Erbe im Stadtzentrum (v.l.n.r.)

Für uns muss das Leben weitergehen und gemäß des Prinzips „Jetzt erst recht“  treffen wir die ersten Vorbereitungen zur Abreise. Zunächst gilt es, unsere Essensvorräte aufzufüllen. In einem gut sortierten Supermarkt entdecken wir bereits fast vergessene Köstlichkeiten: beispielsweise Nutellagläser, fein säuberlich gestapelt auf einem langen Ladenregal. Wir stellen eine kurze Rechnung auf – fünf Laibe Brot, zehn Gläser Nutella, das sollte reichen für die ersten 500km bis nach Khorog. Doch wir verwerfen diese gleichermaßen simple wie geniale Idee wieder, als wir die Preisetikette auf den Gläsern entdecken und entwickeln einen etwas konventionelleren, aber ebenso ausgeklügelten Speiseplan: aus mehreren Packungen Nudeln, einem Kilogramm Reis, einer Handvoll Zwiebeln, Tomaten, zwei Chilischoten einigen Knoblauchzehen, einer Dose Thunfisch, vier Brühwürfeln sowie Salz und Pfeffer lässt sich ein modulares Baukastensystem ableiten, das uns eine nahezu grenzenlose kulinarische Vielfalt ermöglicht: Pasta Napoli, Pasta Arrabiata, Pasta Aglio Olio, Pasta Tonno, Pasta Primavera, Risotto Napoli, Risotto Arrabiata, Risotto Aglio Olio, Risotto di Mare, Risotto Primavera. Ein mediterranes Gourmetrestaurant auf Rädern. 

Zwischen den Erledigungen und dem kollektiven Abhängen im Guesthouse bleibt für uns noch Zeit,  die Stadt anzusehen. Im Prinzip ist Duschanbe eine sehr angenehme Stadt, denn sie ist bar jeglicher Sehenswürdigkeiten, wenn man das übliche Nationalmuseum und den weltweit höchsten Fahnenmast ausklammert. Pardon, mittlerweile, ist es nur noch der zweithöchste, denn Kim Jong Il konnte diese Demütigung nicht auf sich sitzen lassen und hat mit einer noch höheren Fahnenstange kurz vor seinem Ableben zurückgeschlagen. Das Fehlen interessanter Attraktionen verpflichtet uns nicht zum Besuch von Moscheen und Mausoleen, sondern ermöglicht ein entspanntes, zielloses Ablaufen des weitläufigen Stadtzentrums.

Und das kann sich durchaus sehen lassen. Denn mit seinen zahlreichen Alleen, Parkanlagen und neuangelegten Springbrunnen erinnert Duschanbe mit etwas Wohlwollen eher an Montpellier als an ein entlegenes zentralasiatisches Kaff.

Zugegeben, die hochgewachsenen Platanenbäume verdecken die meist reparaturbedürftige sowjetische Zweckarchitektur aus den 60er/70er Jahren und es gibt wenig Altes oder Glamouröses zu bestaunen. Duschanbe ist eine junge Stadt. Ende des 19. Jahrhunderts geriet die Gegend immer mehr unter russischen Einfluss, im Jahr 1929 entstand nach dem Willen Stalins schließlich die Tadschikische Sowjetrepublik. Doch nun musste noch eine Hauptstadt her und so ernannte man einen winzigen unbedeutenden Marktflecken zur Kapitale des neuen Satellitenstaates. Mittlerweile leben 600.000 Menschen hier und die eingangs erwähnten Plattenbauten werden zumindest entlang der Hauptmagistrale zunehmend von moderner, neureicher Architektur ersetzt, die unser Reiseführer irgendwo zwischen „Budgetfuturismus“ und „römischen Triumphalismus“ verortet. Es tut sich was in Tadschikistan, seit Jahren verzeichnet der flächenmäßig kleinste Staat Zentralasiens zumindest auf dem Papier hervorragende wirtschaftliche Kennziffern: die Wirtschaft wächst beständig, die Inflation ist unter Kontrolle. Dennoch lässt nicht wegdiskutieren, dass diese Entwicklung von äußerst geringen Niveau ausgeht und das Land ohne Überweisungen von im Ausland lebenden Tadschiken sowie dem Engagement der Aga Kahn Stiftung bereits bankrott wäre. Schon in sowjetischer Zeit war die tadschikische SSR das rückständigste Gebiet des Staatenbundes und als Moskau nach der Wende den Geldhahn zudrehte blieben die Ladenregale leer und die Wohnungen dunkel. Schlimmer noch, entluden sich bald in der noch jungen Republik die Spannungen aus Exkommunisten, religiösen Eiferern und Stammesverbänden in einem grausamen Bürgerkrieg, der bis 1997 schätzungsweise 60.000 Menschenleben forderte.

Selbst heute hat Tadschikistan außer etwas Aluminium und Wasserkraft dem Rest der Welt  wenig zu bieten, die meisten Produkte im Supermarkt stammen aus dem Ausland, und auf dem Etikett des tadschikischen Mineralwassers ist nicht etwa der Pamir, sondern Eiger, Mönch und Jungfrau abgebildet.

Und doch sichtet man im Straßenbild das erste Mal seit der Türkei wieder vermehrt brandneue Luxuskarossen im Stadtbild: Mini Clubman, BMW x6, Porsche Panamera. Woher stammt das Geld für solche Autos? Aus den Opiumfeldern im nahegelegenen Afghanistan? Tadschikistan hat sich unfreiwillig zu einem beliebten Transitland für Drogen entwickelt.

Duschanbes Alleinstellungsmerkmal: das größte Teehaus der Welt, direkt neben dem Hyatt Hotel gelegen

Im neuangelegten Stadtpark sprechen uns zwei junge Tadschiken im tadellosen Englisch an. Sie hätten einen französischen Touristen kennengelernt, der hier in Duschanbe „in eine unschöne Situation“ geraten sei. Damit sich dies  nicht wiederholt, würden sie gerade dabei eine Touristik Agentur  gründen und wären über Rat und Rückmeldung dankbar. Wie uns Tadschikistan gefallen würde und was man besser machen könnte, möchten sie von uns wissen. Bisher gefällt es uns hier sehr gut, lassen wir verlauten, wir hätten allerdings nur die Hauptstadt gesehen. Natürlich wünschte man sich lieber zahlungskräftiges Publikum, aber vielleicht wäre mehr Infrastruktur für die vielen Rucksack- und Fahrradtouristen nicht verkehrt. Das heißt: mehr Guesthouses und gescheite Fahrradläden.

Auf den brandneuen Stadtpark folgt als Kontrapunkt eine Art Vergnügungspark mit schrottreifen Fahrgeschäften und dann sichten  wir schließlich eine vielleicht doch einzigartige Sehenswürdigkeit, und zwar das größte Teehaus der Welt. Direkt neben dem Hyatt- Spiegelglaspalast gelegen, erinnert die graue Trutzburg mit ihren farbenfrohen Intarsien eher an ein Regierungsgebäude. Noch ist das riesige Gebäude nicht komplett fertiggestellt, und es steht zu befürchten, ob sich der Aufwand, mehrere Prozent des Bruttosozialprodukts für diesen Bau abzuzweigen, gelohnt hat.

On the road again:verhaltene Exotik unweit von Duschanbe, chinesische Lkws im Einsatz und deftige Bergabstrecken auf gut ausbebauten Straßen

Die Straße ist noch immer gesperrt, doch unter den 17 Fernradlern reift die Erkenntnis, dass Warten auf weitere Erdrutsche nicht weiterhilft. Am 21. Juli verlässt Grüppchen für Grüppchen das Guesthouse. Minxin und ich sind im hinteren Mittelfeld zu finden. Wir haben uns vorgenommen, zunächst nur moderate Etappen zu absolvieren so lange die Straße gesperrt ist. In den nächsten vier Wochen wollen wir die zweithöchste Fernstraße der Welt überqueren und bis zu 4700m hohe Pässe überqueren.

Die Faszination dieser Straße, entfaltet sich nicht auf den ersten Blick. Am ersten Tag geht es durch gesichtslose Vororte Duschanbes nach Osten, erst am späten Nachmittag tauchen ein paar unscheinbare Hügel links und rechts der Straße auf, die am folgenden Tag immerhin auf gehobenes deutsches Mittelgebirgsniveau heranwachsen. Die Supermärkte in den Orten sind gut bestückt, die Straße gut ausgebaut und in Faisabad, einer Kreisstadt, 60km hinter Duschanbe gelegen, entdecken wir sogar einen ATM Automaten. Nach der einwöchigen Radelpause, ist die sanft ansteigende Strecke mit einigen rasanten Abfahrten genau das richtige für unsere untrainierten Schenkel.

Es gibt übrigens zwei Möglichkeiten, Khorog von Duschanbe aus zu erreichen. Die einfachere und besser ausgebaute Variante führt südlich am Pansh Fluss an der Grenze zu Afghanistan entlang, wir haben uns für die etwas kürzere, aber anspruchsvollere Nordroute entschieden, die einen 3250 Meter hohen Gebirgspass überquert und landschaftliche Höhepunkte nonstop verheißt.

die ersten 4000er rücken ins Blickfeld. Wir selbst bewegen uns auf ca. 1200-1500 Meter über NN. Noch ist es sehr heiß, eine Pause im Schatten kommt da gerade recht

Tatsächlich, am dritten Tag haben wir dann endlich das Gefühl, in ein echtes Abenteuer zu fahren, statt den kahlen Hügeln übernehmen auf einmal majestätische Hochgebirgsriesen das Kommando. Mit jedem gefahrenen km gewinnt die Landschaft an Dramatik und Erhabenheit. Proportional dazu verschlechtert sich das Angebot in den kleinen Verkaufsläden. Statt dem roten Original müssen wir uns nun mit der überraschend guten RC Cola zufriedengeben, die laut ihrem blauen Etikett seit 1905 in Georgia, USA hergestellt wird. Ich habe sie jedoch bisher in keinem  Geschäft außerhalb Tadschikistans gesehen.

Wir befinden uns im weiten Surkhob - Tal, das bis nach Kirgistan führt. Weit unten im Tal sichten wir eine Großbaustelle, womöglich handelt es sich um ein großes Staudammprojekt, um die Energieprobleme Tadschikistans zu beheben. Unsere Straße verläuft in Sinuskurven die Hänge herauf und herab, und ebenso manisch-depressiv verhält es sich auch mit dem Straßenbelag. Auf 500m verheißungsvollen Asphalt folgen meist mehrere km Staubpiste, die wiederum von einer endlos erscheinenden Schlaglochorgie abgelöst werden.

Begegnungen am Rande des Pamir: deutsche Motorradfahrer vs. tadschikische Esel. Schüchterne Obstverkäuferinnen in den Dörfern

Am Abend führen uns zwei Jungs zu einem schön gelegenen Zeltplatz unweit des Flusses. Als wir uns verabschieden wollen und das Zelt aufbauen, vernehmen wir ein merkwürdiges Geräusch. Wir drehen uns schlagartig um, und was wir sehen, lässt uns den Atem stocken. Wenige Meter entfernt verabschiedet sich ein Stück Steilhang in die Fluten des Flusses. Ein weiterer Erdrutsch, und diesmal sind wir Augenzeugen aus nächster Nähe. Ein Teil der Straße ist unwiderruflich verschwunden. Beunruhigt packen wir die Campingausrüstung wieder ein und schauen uns nach Alternativen um.

durch einen Erdrutsch beschädigte Straße. Leise rieseln die Steine in den Abgrund während wir die weggebrochene Stelle passieren

Als wir die weggebrochene Stelle der Straße vorsichtig passieren, ist es wieder da. Dieses eigenartige Geräusch von bröckelnden, wegbrechenden Asphalt. Immerhin finden wir nach kurzem Suchen einen sicher erscheinenden Zeltplatz in einer Flussaue, den wir uns allerdings mit mehreren Millionen Moskitos teilen müssen.

Am Morgen des vierten Tages, wir sind bereits um 6:30 Uhr auf unseren Rädern, rücken die Berge entlang der Straße zusammen. Unsere Straße zweigt nach Süden ab und schafft es irgendwie, sich an zwei Viertausendern vorbei in einen engen Canyon zu zwängen. Sicher, wir haben auf unserer Reise bereits tolle Landschaften bereist, und die Erwartungen an Tadschikistan waren diesbezüglich hoch, doch was wir auf den nächsten 100km erleben werden, stellt alles in den Schatten.

Hinter jeder Kurve folgt ein neues „Ah!“ und „Oh!“ und der damit verbundene obligatorische Fotostopp. Mal üppig-grün, dann wieder schroff-alpin präsentiert sich die Bergwelt Tadschikistans, und je weiter wir in diese Bergwildnis eindringen, desto unversehrter zeigt sich die Natur. Nach den offensichtlich abgeholzten Berghängen hinter Duschanbe, entdecken wir das erste Mal seit dem Kaspischen Meer wieder Bäume, die mit der Zeit zu Wäldern zusammen wachsen.

Noch habe ich Handyempfang. Am Mittag erreicht mich die Nachricht, dass der Pamir Highway wieder offen ist. Das Abenteuer kann beginnen.

Ladenverkäufer in Faisalbad (l., m.) und Taveldara (r.)

Die winzigen Dörfer scheinen noch immer unter den Auswirkungen der Erdrutsche zu leiden. Es gibt keinen Strom und somit auch keine Kaltgetränke. Die „Restaurants“ führen nur ein Gericht, Fleischbrühe vom Vortag, und das Angebot in den Läden ist kümmerlich. Wir betreten Stufe 3 der Cola-Hierarchie, die RC Cola wird nun durch undefinierbare braune Zuckerplörre abgelöst. „Tadschikistan – tolles Land wenn man nicht verhungert“, ist mein letzter Gedanke, bevor mir die Augen zufallen

Landschaft um Taveldara: der Ort selbst mit dem Zeugenberg im Hintergrund (o.r.), die Brücke, die in den Pamir führt (u.r.)

Erst der nächste Tag bringt Entlastung. Gegen Mittag erreichen wir die Kreisstadt Taveldara. Hinter dem Ort ragt ein gigantischer Felsklotz auf, der anderswo bereits UNESCO Welterbe-Status erhalten hätte, hier aber entweder nur unter „ferner liefen“ oder „noch nicht entdeckt“ firmiert. Ein kleines klimatisiertes Geschäft mit Kaltgetränken reicht aus, um uns in Ekstase zu versetzen, ein Gasthaus mit drei Gerichten im Angebot markiert den vorläufigen Gipfel des Luxus.

10km später passieren wir eine baufällige Holzbrücke und stehen vor einer Polizeistation.- die Grenze zum Pamir. Vorbei an hochaufragenden Felszinnen, betreten wir einen engen Canyon und finden gerade noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit einen hübschen Zeltplatz entlang des Flusses.

Nur wenige Hundert Meter entfernt entdecken wir ein Licht in der ansonsten menschenleeren Landschaft. Im fahlen Mondlicht tasten wir uns einen kleinen Eselspfad entlang durch die Dunkelheit voran, bis wir vor einem kleinen Gebäude mit Wellblechdach stehen. Eine etwa 20jährige Frau, umringt von drei kleinen Kindern tritt aus dem Haus. Ihr dicker Bauch verrät, dass ein viertes bereits auf dem Weg ist. Für den jungen Nachwuchs sind wir eine Sensation. Mit einer einladenden Handbewegung bedeutet die Frau, uns in die Wohnung zu kommen. Diese besteht aus zwei getrennten Räumen: eine Küche mit festem Erdboden, der Ofen und Herd erhellt durch Kerzenlicht. Der andere Raum verfügt über elektrisches Licht und ist mit zahlreichen Teppichen und Matratzen ausgekleidet. Das Wohn- und Schlafzimmer also. Toilette und Waschgelegenheit befinden sich neben dem Kuhstall außerhalb. Im Wohnzimmer werden uns Kartoffeln serviert, dazu gibt es wie üblich Tee.

Die Frau spricht kein Russisch, denn das hat nur die ältere Generation in der Schule gelernt, von Englisch ganz zu schweigen. Es ist eine seltsame Begegnung in einem abgelegenen Hochtal irgendwo im hintersten Winkel Tadschikistan, die uns das Gefühl gibt, nun endgültig das Ende der Welt erreicht zu haben.

Hochzeitsgesellschaft im Tal (m.)

Die Straße auf den Sagirdasht - Pass führt vorbei an duftenden Almwiesen und fiependen Murmeltieren, die wir allerdings nicht vor unsere Linse bekommen. Wir sind mit uns und der Natur alleine, lediglich weit unten aus dem Tal dringt Musik nach oben. Wenig später kennen wir des Rätsels Lösung, als uns eine Armada an bunt geschmückten SUVs entgegenkommt. Es ist Sonntag, Hochzeitstag, und auch hier, hoch oben in den Bergen Tadschikistans, wird geheiratet.

ein Rekord, der nicht lange Bestand haben wird: der Sagirdasht Pass (3253 Meter; r.)

Das erste Mal auf unserer Reise klettern wir über die magische 3.000 Meter Marke und stehen am Nachmittag schließlich auf der 3.252 Meter hohen Passhöhe. Nun wird es richtig wild. Mit quietschenden Bremsen geht es steil abwärts in das Tal des Flusses Pansch. Links der Straße ragt eine Hunderte Meter hohe senkrechte Felswand auf, zur Rechten stürzt der Hang in die Tiefe. Dschingis Khan oder Marco Polo, so scheint‘s, könnten gleich um die Ecke biegen.

Zuvor steht aber eine weitere Polizeikontrolle an. Trotz einfacher Visavergabe und generell unkomplizierten Reisens entwickeln gerade tadschikische Ordnungshütern ein reges Interesse für die Ausweisdokumente von Reisenden. In den winzigen Polizeistationen werden die Eckdaten der Reisenden – beispielsweise die Aufenthaltsdauer, die kryptischen Geburtsorte sowie die seltsam exotisch klingenden Namen - sorgsam in Zeitlupentempo mit einem Füllfederhalter in ein kleines Herlitz Notizbuch übertragen. Dieses steht den Reisenden zur Einsicht, denn wirklich streng wie in den zuvor bereisten Nachbarländern geht es in Tadschikistan nicht zu. Im Gegenteil, diese verrückten fahrradfahrenden Westler sind eine willkommene Abwechslung im eher öden Alltag der kettenrauchenden Bergpolizisten. Wir blättern im Notizbuch, und stellen fest, dass unsere Radlerkollegen Mary, Phil, Nico und Gökben nur wenige Minuten zuvor den Schlagbaum passiert haben.

unterwegs mit Frogs on Wheels: Nico und Gökben aus Frankreich/Türkei

 In der Tat, nur wenige Meter hinter der Polizeistation vernehmen wir ein lautes Rufen. Unsere vier Freunde aus Duschanbe haben hier ihr Zelt aufgeschlagen und auf uns gewartet, um mit uns zusammen weiter zu radeln. Das freut uns, wirft aber gleichzeitig auch einige offene Fragen auf. Entspricht unser Reiseverhalten überhaupt allgemein-akzeptiert sozialverträglichen Standards, um mit anderen Fernradlern auf Tour zu gehen? Wir haben gerade in den letzten Monaten unheimlich viele nette Menschen kennengelernt, diese aber meistens in Gästehäusern und nicht auf dem Fahrradsattel. 

 

-    Egal, zu solch einem Trip gehört auch gemeinsames Radeln. Selbstverständlich willigen wir ein, verabschieden uns auf eine warme Dusche ins nahegelegene Kala-i-Khum und verabreden uns für den morgigen Tag ebendort.

Je mehr wir uns Kala-i-Khum nähern, desto besser wird die Straße unter unseren Fahrradreifen. Aus den „Asphalt bits“, werden „Asphalt patches“, die später zu „Asphalt stretches“ von sogar einigen Hundert Metern anwachsen. Dennoch ist es dunkel, als wir den kleinen Ort erreichen.

Mir ist nach sechs Tagen Einheitsdiät von Brot und Suppe nach einem pamirten Schnitzel mit Champignonrahmsauce zumute, doch leider sind die drei Restaurants im Ort allesamt geschlossen, selbst das von der Aga Khan Stiftung (wem sonst?) neueröffnete Viersternehotel bietet nur noch Cognac und Scotch zum Verzehr an. Der Grund: morgen kommt der tadschikische Präsident Rahmon nach Kala-i-Khum und somit haben die Stadtbewohner andere Prioritäten als westliche Fahrradtouristen zu catern.

Wir nutzen die entstandene Freizeit, um meine Kleidung in mühevoller Kleinarbeit vom Teer zu befreien. Denn zuvor bei der Polizeikontrolle ist mir ein kleines Malheur passiert, und das ist ebenfalls dem tadschikischen Präsidenten anzulasten. Denn dieser hat in den letzten Monaten allen Polizeistationen im Lande eine Tonne Teer geschenkt, um damit die Gebäude schwarz anstreichen zu lassen Eine erstaunlich ritterliche Gäste vom Präsidenten, die einem deutschen Fahrradtouristen allerdings eher zum Nachteil gereicht. Ich habe in der Abenddämmerung den frischen Anstrich übersehen und mich samt Fahrrad gegen die Wand der Polizeistation gelehnt. Resultat. Fahrrad, Taschen, Kleidung sind nun von der Seite mit Teer beklebt. Erst viel später in Khorug, sind die Spuren davon optisch endgültig beseitigt.

Straßenszenen aus Kala i Khum, ein 6000-Einwohner Nest an der Grenze zu Afghanistan

Am nächsten Tag erscheinen nur Nico und Gökben am Treffpunkt. Phil wurde durch eine heftige Grippe niedergestreckt und pausiert nun mit Mary in Kala-i-Khum. So geht es zu viert geht am Pansch Fluß entlang Richtung Süden ins 240km entfernte Khorug

und das Ist Afghanistan: Zollstation, "Überlandstraße" und typisches Dorf am gegenüberliegenden Flußufer (v.l.n.r.)

Gegenüber liegt Afghanistan. Die Bewohner dort sind meist in langen Umhängen gekleidet und bewohnen Lehmhütten ohne Fenster, dafür sind Satellitenschüsseln bald ein vertrauter Anblick.  Privilegiert ist, wer in Afghanistan einen motorisierten Untersatz sein Eigen nennen kann, doch Handel mit den umliegenden Dörfern kann man kaum treiben, denn immer wieder ist der enge Eselspfad zwischen den Dörfern durch Hochwasser unterbrochen. Ab und an sehen wir ein Motorrad, viel seltener einen kleinen Last- oder Geländewagen, Pkw dagegen gar keine. Wo der Pansch sich verengt, stoppen wir und winken hinüber. Kinder bleiben stehen und winken zurück, bald hat sich eine kleine Gruppe versammelt und freudiges Gejohle dringt zu uns hinüber. Was mögen die afghanischen Dorfbewohner von diesen seltsamen Touristen mit ihren bunten, bepackten Fahrradfahrern denken? Unabhängig davon, muss Tadschikistan mit seinen (aus der Entfernung) robust wirkenden Steinhäusern, den Stromleitungen und der teilweise asphaltierten Straße, über die zahlreiche Geländewagen und Lkws holpern, auf Afghanen regelrecht wohlhabend wirken, obwohl Tadschikistan laut HDI Index das ärmste Land ist, das wir bereisen werden.

Die restlichen vier Fahrtage nach Khorug sind schnell erzählt. Nach der Bergwildnis ist das dramatische Pansch Tal mit seinen engen Canons ein weiteres echtes landschaftliches Highlight, das durch eine etwas bizarre Schlechtwetterperiode aber leider versaut wird. Eigentlich befinden wir uns in einem Halbwüstenklima und laut Wikipedia sind Regenfälle im tadschikischen Sommer praktisch ausgeschlossen. Trotzdem zeigt die Wolkendecke während der vier Tage kaum Lücken und jeden Tage werden wir mehrfach nass. Von Wetterpech kann man spätestens jetzt nicht mehr schreiben, vielmehr scheint unsere Reise allmählich vom sich abzeichnenden Klimawandel bestimmt zu werden. Immerhin bleiben wir von weiteren Erdrutschen verschont und können die Reise nahtlos gen Süden fortsetzen. Erst eine Magenverstimmung mit anschließender kurzer und heftiger Fieberattacke (wie zuvor in Dubrovnik) reißt mich aus der Bahn.

Der dritte Tag nach Kala-i-Khum wird für mich zu einer regelrechten Qual und ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe, an diesem Tag 50km auf engen, geschotterten Gebirgsstraßen zurückzulegen. Am Nachmittag siegt die Einsicht, dass ich eine Pause brauche, sodass wir uns schweren Herzens von Nico und Gökben trennen und eine eintägige Zwangspause in einem kleinen Gästehaus in Vomar einlegen. Mit einem Tag Verspätung erreichen wir schließlich unseren Zielort Khorug. Nach einer kurzen Pause wollen wir von dort aus das Dach der Welt erobern.

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Kommentare: 4
  • #1

    Bernhard (Freitag, 21 August 2015 01:13)

    Hallo Ihr 2, immer wieder spannend und interessant, nun endlich mal wieder von euch zu hören.
    Take care und gute Nacht.
    Demnächst mehr.
    Herzlichst Bernhard

  • #2

    Daniela (Freitag, 21 August 2015 21:32)

    Hallo Ihr 2,
    es ist schön, von Euch zu lesen, sich an unsere eigene Reise zu erinnern und Eure Reisefreude mitzuerleben. Ich bin gespannt, wie's weitergeht!

  • #3

    Carola (Freitag, 21 August 2015 21:55)

    Hallo ihr 2, so wie es aussieht haben heute gleich mehrere MB-Kollegen an euch gedacht und sich auf eure Seite begeben. Bleibt gesund und weiterhin viel Freude auf eurer Reise.

  • #4

    Sebastian (Sonntag, 06 September 2015 14:18)

    Ein pamiertes Schnitzel ! Welch wunderbarer kulinarischer Einfall. Ich zerbreche mir gerade auf dem gemütlichen Sofa in Berlin den Kopf mit welcher exotischen Zutat man die Panade wohl pimpen könnte um euch beim nächsten Wiedersehen eins reichen zu können. Vielen Dank für die Zeilen. Es ist toll aus der Komfortzone mitreisen zu können und diese Steigungen nicht bewältigen zu müssen. Bis ganz bald! Sebastian